Nachdem sie sich zuletzt in bestechender Form präsentierten, müssen Carol Schuler und Anna Pieri Zuercher zum Abschluss der aktuellen „Tatort“-Saison mit einem durchwachsenen Krimi Vorlieb nehmen. Warum sich das Einschalten dennoch lohnt, erfahrt ihr hier in Mareks Kritik zur Episode „Rapunzel“.
Welche Kommissare ermittelten gestern im „Tatort: Rapunzel“?
2024 konnte der Schweizer „Tatort“ den biederen Mief früherer Jahre endgültig abschütteln. Sowohl die tolldreiste Krimikomödie „Von Affen und Menschen“, als auch der hypnotische Weihnachts-Thriller „Fährmann“ waren absolute Volltreffer, sodass die Erwartungshaltung deutlich gestiegen ist. Die kann der mitunter verworrene „Tatort: Rapunzel“ leider nicht vollumfänglich erfüllen.
An seinem Personal liegt das aber ausdrücklich nicht. Carol Schuler und Anna Pieri Zuercher harmonieren einmal mehr wunderbar miteinander und selbst die meist etwas zu schrill gezeichnete Staatsanwältin hält sich diesmal angenehm zurück. In den Vordergrund rückt dafür Kriminaltechniker Noah Löwenherz, der mit seinem neuen Look ganz beiläufig für ein paar Lacher sorgen kann, die dabei niemals aufgesetzt wirken. Als treibende Kraft bei der Ermittlungsarbeit ist er darüber hinaus ein wichtiger Baustein für die immer stimmiger werdende Chemie innerhalb der Kantonspolizei.
Schwächen weist dafür die eigentliche Kriminalgeschichte über mafiöse Strukturen innerhalb des legalen und illegalen Handels mit Echthaar auf, die unentschlossen zwischen märchenhaften Passagen und blutigem Thriller hin und her pendelt, was dem Spannungsbogen nicht gerade zuträglich ist.
Auf wen wir uns außerhalb von Zürich am meisten freuen, verrät euch das Video der besten „Tatort“-Teams.
Worum geht es im „Tatort: Rapunzel“?
Die Studentinnen Vanessa Thomasi und Lynn Fischer teilen nicht nur Tisch und Bett miteinander, sie verbindet auch ein dunkles Geheimnis. Zumindest wird das in den Anfangsminuten des neusten Züricher „Tatorts“ suggeriert und tatsächlich taucht bald eine dunkle Gestalt auf, die Vanessa Thomasi zunächst die Haare abschneidet, sie dann tötet und schließlich ihre Leiche auf einer Baumkrone aufspießt.
Nach diesem drastischen Einstieg machen sich die Kommissarinnen Ott und Grandjean an die Arbeit und geraten in eine seltsam anmutende Parallelwelt, die sich auch uns vor den Bildschirmen nicht so recht erschließen mag, was auch die vielen starken Passagen auf dem Revier nicht über die vollen 90 Minuten kompensieren können.
Mareks „Tatort“-Kritik: Unausgewogener Krimi macht starkem Ensemble das Leben schwer
Perücken aus Echthaar können Tausende von Euro wert sein und sind für manche Menschen weitaus mehr als bloß ein Schmuckstück. Stellvertretend für sie steht im „Tatort: Rapunzel“ ein krebskrankes Mädchen, dem die fremden Haare einen Teil ihrer Würde zurückgeben sollen. Es ist eine kleine, aber einfühlsame Szene, die uns vor den Fernsehern erklären soll, warum der Handel mit den Strähnen ein solch lukratives Geschäft ist, dass auch die Organisierte Kriminalität davon Wind bekommen hat.
Vanessa Thomasi wollte ein Stück vom Kuchen abhaben und bezahlte den Blick in den Abgrund mit ihrem Leben. So weit, so originell, zumal ein solches Setting noch nie den Hintergrund für einen „Tatort“ am Sonntagabend bildete. Umso bedauerlicher, dass Drehbuchautor Adrian Illien seiner eigenen Idee letztlich zu wenig Vertrauen schenkt und sie mit zahlreichen Stilbrüchen überfrachtet, die dem Erzählfluss einen Bärendienst erwiesen.
Ein verwunschenes Märchen, ein überharter Thriller und ein leises Drama über Gier auf der einen und menschliches Leid auf der anderen Seite sind für 90 Minuten eine sportliche Kombination, darüber hinaus wollen die Konturen der Kommissarinnen weiter geschärft werden. Während letzteres bestens gelingt, mangelt es dem eigentlichen Kriminalfall immer mehr an einem roten Faden, was auch seine recht konstruierte Auflösung nicht mehr retten kann.
Ein kompletter Fehlgriff ist der „Tatort: Rapunzel“ freilich nicht. Verglichen mit den verschlafenen Auftritten von Reto Flückinger fühlt er sich sogar wie ein verspätetes Pfingstwunder an, doch die Begehrlichkeiten in der Schweiz haben sich bekanntlich verändert. Carol Schuler und Anna Pieri Zuercher nehmen das hoffentlich als Kompliment auf.
Der „Tatort: Rapunzel“ wurde gestern am Sonntag, den 15. Juni 2025 um 20:15 Uhr in der ARD ausgestrahlt und ist jetzt für einen Monat in der Mediathek als Wiederholung im Stream verfügbar.